Schätzrunden

Um unsere Sprint-Wochen vorhersehbar planen zu können, müssen wir eine gewisse Sicherheit über den anfallenden Arbeitsaufwand in Form von Story Points erlangen. Dies tun wir im Rahmen der Schätzrunden bzw. des Schätzmeetings. Sie liegen zeitlich vor dem Onboarding des jeweiligen Sprints (siehe Sprint-Onboarding).

Hier gibt es noch die passende Präsentation aus dem Vortrag (Powerpoint-Präsentation)

 

Ablauf: Planning Poker

Wie bei einem Kartenspiel üblich, erhält jeder Teilnehmer ein Set an nummerierten Karten. Nachdem eine zu schätzende Aufgabe aus dem kommenden Sprint vom Product Owner vorgestellt wird, wählt jeder Mitspieler die Karte mit der Zahl aus, die aus seiner Sicht dem Aufwand zur Erledigung der Aufgabe entspricht. Um eine gegenseitige Beeinflussung zu vermeiden, werden die ausgewählten Karten verdeckt – also mit der Zahl nach unten – auf den Tisch gelegt und auf Kommando gemeinsam aufgedeckt. Anschließend beginnt eine Diskussion über die individuell geschätzten Aufwände mit dem Ziel, zu einer gemeinsamen Einschätzung zu kommen.

Und ja, es dürfen alternativ auch Finger oder selbstgebastelte Kärtchen in den Schätzrunden verwendet werden. 😉

Fibonnacci-Folge

Bei den Schätzwerten, aus denen wir wählen, verwenden wir die Fibonnacci-Folge:

0, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144

Wobei wir im Nest seltenst mit 13 oder höher zu tun haben.
Warum werden die Sprünge immer größer, je höher der Zahlenwert? Ganz einfach: Je höher der Umfang einer Aufgabe ist, desto schwieriger fällt es uns, den Aufwand einzuschätzen. Die Unschärfe nimmt mit steigender Anzahl an Storypoints zu. Deshalb ist es ohnehin von Vorteil, Aufgaben in so kleinen Einzelstorys wie möglich (und sinnig) zu verpacken. Bspw. nicht: Keyword-Recherche, Texterstellung und Texteinbindung zusammen.

Relatives Schätzen

Vergleichende/abstrakte Schätzungen sind schneller durchführbar als das Schätzen absoluter Größen. Menschen können schlecht absolute Dinge schätzen. Sie können aber gut Dinge zueinander in Relation setzen und erkennen, was größer oder kleiner ist.

Warum schätzen wir gemeinsam?

  • Maßnahmen objektiv fair in Rechnung stellen: Durch die kollektive Einschätzung wird sichergestellt, dass der Aufwand für jede Aufgabe transparent und nachvollziehbar bewertet wird. So entsteht ein gerechtes Abbild der anstehenden Arbeiten.
  • Vergleichbarkeit zwischen den Storys herstellen und Konsistenz schaffen: Wiederholte Schätzungen ermöglichen es, Story Points über verschiedene Sprints hinweg vergleichbar zu machen und durch kontinuierliche Prüfung Konsistenz zu erreichen.
  • Kollektives Gedächtnis: Durch das gemeinsame Lernen und die Diskussionen während der Schätzrunden verbessert sich die Qualität der Schätzungen im Laufe der Zeit. Erfahrungen aus vergangenen Sprints fließen ein und erhöhen die Genauigkeit.
  • Vielfältige Sichtweisen: Unterschiedliche Perspektiven innerhalb des Teams sorgen dafür, dass mehr Schätzfaktoren berücksichtigt werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Risiken, Herausforderungen und Chancen umfassend erfasst werden.
  • Lernen aus früheren Schätzungen: Das Team kann sich durch den Rückgriff auf frühere Erfahrungen weiterentwickeln und dieses Wissen gemeinsam anwenden, um präzisere Schätzungen abzugeben.
  • Mini-Briefing für Kunden: In den Schätzrunden wird auch immer wieder die SEO-Strategie der verschiedenen Kunden reflektiert, was ein kontinuierliches Mini-Briefing für alle Teilnehmer darstellt. Dies hilft, die strategische Ausrichtung im Blick zu behalten und die Aufgaben dementsprechend zu bewerten.
  • Reflexion: Die Schätzrunden bieten nicht nur eine Gelegenheit, den Aufwand der einzelnen Aufgaben zu bewerten, sondern auch zu reflektieren, wie sinnvoll und wichtig die geplanten Maßnahmen sind. Dabei stellen sich Fragen wie:
    • Wie sinnvoll ist die geplante Maßnahme für den Kunden oder das Projekt?
    • Wie kann die Aufgabe klarer abgegrenzt werden, um den Umfang besser einschätzen zu können?

    Durch diese Reflexion wird das Team in die Lage versetzt, Aufgaben präziser zu definieren und sich gemeinsam auf Umfang und Bepunktung zu committen. Das verringert die Wahrscheinlichkeit von Frust bei der späteren Abarbeitung der Aufgaben.

Schätzfaktoren

  • Zeit: Wie viel Zeit nimmt die Erledigung der Aufgabe ein bzw. wie viel räume ich ihr ein? Wie viel Zeit benötigt die Story wegen technischer Voraussetzungen (bspw. lahmer Server)?
  • Aufwand/Umfang: Wie groß ist die Story, was gehört alles dazu (Akzeptanzkriterien, Dokumentation der Ergebnisse, Textlänge)? Wie viel Aufwand ist bei der Bearbeitung der Story notwendig?
  • “Unknown”-Faktor: Gibt es gewisse Faktoren, die Unsicherheit in die Story mit bringen (bspw. ob Plugin schon installiert ist oder ob man im Rahmen der Story noch etwas herausfinden muss, mit dem man dann arbeitet)?​
  • Mehrwert/Gewicht: Wie gewinnbringend/lohnend ist die Story für SEO und unsere Kunden? Welchen Wert hat sie? Wie wichtig ist das Keyword / die Seite etc. im Projektkontext?
  • Expertise: Wie viel unseres Expertenwissens und Expertise in Form von Tools bieten wir dem Kunden mit der Maßnahme? Wie viel Vorteil ergibt sich daraus, dass wir es übernehmen und der Kunde es sich nicht selbst erarbeiten oder sogar Dritte dafür beauftragen muss?
  • Komplexität: Wie schwierig ist die Aufgabe? Ist das Thema leicht zu überblicken oder müssen wir tief in die Recherche gehen bzw. aufpassen, dass wir alles korrekt darstellen (bspw. gesundheitliche Themen)?
  • (Dringlichkeit): Wie wichtig ist es, dass die Maßnahme zeitnah abgeschlossen wird? Wie sehr beharrt der Kunde auf einer schnellen Abarbeitung?

Red-Flag-Argumente

In der Schätzung und Bewertung von Aufgaben gibt es bestimmte Argumente, die als „Red Flags“ betrachtet werden sollten. Diese Argumente neigen dazu, den tatsächlichen Aufwand oder die notwendige Expertise herunterzuspielen und können die Qualität der Arbeit sowie die Motivation des Teams beeinträchtigen. Hier sind einige typische Red-Flag-Argumente, die im Schätzprozess auftauchen können:

1. Aufwand und Expertise werden kleingeredet

🚩 “Das dauert nicht so lange” / “Das geht total schnell” / “Man muss dafür ja nur das Dokument kopieren”
Dieses Argument suggeriert, dass eine Aufgabe einfach und schnell erledigt werden kann, ohne den tatsächlichen Aufwand, etwaige Herausforderungen oder die Qualität der Ausführung zu berücksichtigen. Oft werden dabei Vorbereitungszeiten, Korrekturschleifen oder technische Einschränkungen ignoriert.

🚩 “Man muss für die Story nur einmal schnell Xovi oder den Screaming Frog öffnen.”
Das Öffnen von Tools klingt einfach, aber die tatsächliche Arbeit, die Analyse der Daten und die anschließende Ableitung von Maßnahmen sind komplex und zeitaufwendig. Hier wird der gesamte Prozess unterschätzt.

🚩 “Das ist eigentlich nur Fleißarbeit.” / “Es benötigt nur einen Klick.” / “Man muss nur eine Zeile umcodieren”
Solche Aussagen unterbewerten systematisch die Komplexität von Arbeitsschritten, die technisches Verständnis, Präzision und eventuell auch Tests oder Abnahmen erfordern.

🚩 “Man muss ja nur übersetzen.”
Übersetzungen sind nicht nur ein einfacher Austausch von Wörtern, sondern erfordern Kontextverständnis, kulturelle Anpassungen und oft Abstimmungen, um sicherzustellen, dass die Botschaft richtig ankommt.

🚩 “Das habe ich schon ganz oft gemacht, deshalb fällt es mir leicht.”
Selbst wenn eine Aufgabe einer Person leicht fällt, bedeutet das nicht, dass sie weniger wert oder aufwändig ist. Erfahrungen können den Prozess beschleunigen, aber sie ändern nicht den intrinsischen Wert der Arbeit. Die Schätzung sollte daher unabhängig von individueller Routine erfolgen.

2. Budget als Begründer

🚩 “Wir kommen ins Minus, wenn wir die Story mit … STP bepunkten.”
Dieses Argument stellt den finanziellen Aspekt über die tatsächliche Komplexität und den Aufwand der Aufgabe. Natürlich ist das Budget ein Faktor, jedoch sollte die Schätzung realistisch und auf der Grundlage des tatsächlichen Arbeitsaufwands erfolgen. Eine künstliche Herabsetzung der Story Points führt langfristig zu Verzerrungen und Frustrationen im Team.

🚩 “Im Hinblick auf das Budget des Kunden …” / „Der Kunde hat nur … Budget“ / „Der Kunde hat nur noch … Budget am Ende des Zyklus“
Während das Budget des Kunden berücksichtigt werden muss, sollte es nicht der einzige Maßstab für die Bewertung des Aufwands sein. Eine ehrliche und transparente Schätzung ist wichtig, um klar zu kommunizieren, was innerhalb des Budgets möglich ist und welche Aufgaben ggf. in den nächsten Zyklus verschoben werden müssen.

3. Herleitung aus Historie

🚩 “Das ist eine klassische Nachoptimierung.”
Nachoptimierungen können unterschiedlich viel Aufwand erfordern, je nach Umfang und Komplexität der Veränderungen. Ein pauschales Argument, dass Nachoptimierungen weniger aufwändig seien, ist daher oft ungenau und sollte kritisch hinterfragt werden.

🚩 “Die Story ist immer eine 3.”
Jede Story muss individuell betrachtet werden, auch wenn ähnliche Aufgaben in der Vergangenheit gleich bewertet wurden. Umstände, Anforderungen und Kundenwünsche ändern sich, was Einfluss auf den Aufwand haben kann.

🚩 “Das machen wir schon seit Jahren so.” / “Bei Kunde XY machen wir es auch nur für … STP”
Nur weil eine Methode in der Vergangenheit funktioniert hat oder für einen anderen Kunden angewendet wurde, bedeutet das nicht, dass sie immer in gleicher Weise und mit gleichem Aufwand durchgeführt werden kann. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Schätzungen auf den aktuellen Anforderungen und Gegebenheiten basieren.

Wechselwirkungen zwischen Planung und Schätzen

Die Planung und Schätzung von Aufgaben stehen in einer ständigen Wechselwirkung. Besonders bei SEO-Projekten und Content-Erstellungen ergeben sich dadurch Herausforderungen.

Zunehmende Komplexität von Storys (die wachsende Schablone)

Mit der Zeit werden Storys oft komplexer, da die Anforderungen steigen. Ein ursprünglich einfacher Blogbeitrag von 500 Wörtern kann durch zusätzliche Recherchen, Keyword-Optimierungen und Verlinkungen mehr Aufwand erfordern. Daher muss die Schätzung solcher Aufgaben regelmäßig angepasst werden, um der wachsenden Komplexität gerecht zu werden.

Planung kleinerer Maßnahmen zur Budgeteinhaltung

Um im Budget zu bleiben, werden oft kleinere Maßnahmen eingeplant, wie z. B. kürzere Texte anstelle umfangreicherer Beiträge. Zwar hilft das, finanzielle Grenzen einzuhalten und die Kundenkommunikation zu vereinfachen, kann jedoch langfristig die Effektivität der SEO-Strategie beeinträchtigen. Kurzfristige Einsparungen dürfen die Gesamtziele nicht gefährden.

Maßnahmen bewusst unterschätzen

Manchmal werden Aufgaben in Schätzrunden bewusst unterbewertet, um im Budget-Rahmen zu bleiben. Dies kann kurzfristig helfen, birgt jedoch Risiken wie Frustration im Team, falsche zukünftige Schätzungen und potenziell geringere Qualität für den Kunden. Ehrliche Schätzungen und offene Kommunikation sind hier entscheidend.